Comic Review: Vision Bd. 01 - Eine (fast) normale Familie (Panini Comics)
Wer hätte gedacht, dass sich hinter einem Stepford-Family-Cover (s.u.), mit Marvel Logo drauf, ein solch komplexer Sozialkritik-Comic verbirgt? Ex-CIA-Agent und baldiger Batman-Autor Tom King (kein Witz, googelt das! Also... das mit dem CIA-Agenten) sowie Zeichner Gabriel Hernandez Walta verpassen dem Synthetik-Avenger Vision eine eigene Familie und platzieren diese in einem Washingtoner Vorort.
Was sich anfänglich nach halbgaren Sitcom-Klamauk anhört, entpuppt sich jedoch gleich von der ersten Seite als äußerst anspruchsvolle Supherhelden-Comic-Literatur.
„Die Visions wollen menschlich sein und was ist menschlicher als eine Familie?“ Welch simpler Gedanke und doch so effektiv. Ein kleiner Vorort in den Vereinigten Staaten, abgeschiedenen und ruhig. Hier leben Familien mit Kindern und hart arbeitenden Vätern. Ein Idyll der 1950er Jahre, möchte man meinen. Wären da nicht die neuen Nachbarn.
Familie Vision, bestehend aus Paps, dem Avenger, dessen Frau Virginia sowie den Kindern Viv und Vin. Die Visions sind synthetisch, künstlich erschaffen. Doch sie wollen leben wie Menschen und auch so behandelt werden. Dass dies jedoch ein äußerst zweischneidiges Schwert ist, lernt die junge Familie schneller, als ihnen lieb ist.
Tom King schafft es, den alteingesessenen Avenger von einem unerwartet anderen Licht zu beleuchten und ihn so menschlich wie nie darzustellen, trotz aller Rationalität und logikbasierten Interaktion. King thematisiert die Skepsis, Angst und Wut, die Ausgrenzung und den tiefsitzenden Rassismus, zu dem Menschen denen gegenüber neigen, die sie weder kennen noch verstehen.
Dadurch konstruiert er eine grandiose Sozialparabel, die er mit psychologischem Horror und familiärer Tragik kombiniert. In ungeahnt drastischen Bildern wirft er mehrere komplexe Fragen in den Raum: nach der Menschlichkeit in künstlichen Intelligenzen sowie deren möglichen Platz in der Gesellschaft. „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ (Vgl. „Blade Runner“) fragte sich Philip K. Dick bereits Ende der 1960er Jahre und Tom King zeigt, dass dieses Thema noch lange nicht ausdiskutiert ist.
In den von Gabriel Hernandez Walta illustrierten, starken Bildern steckt dabei beinahe so viel Emotion wie in der Geschichte selbst, wobei Optik und Plot wunderbar zusammen funktionieren. Es ist nicht nur so, dass King und Hernandez Walta hier einen qualitativen und erfrischend andersartigen Superhelden-Comic abliefern, nein, sie zeigen viel mehr, dass das Medium zu deutlich Größerem taugt, als uns in der Masse meist präsentiert wird.
Der erste der beiden Vision Bände (die Serie hat einen Umfang von 12 US-Ausgaben), aber auch Serien wie Silver Surfer, Doctor Strange, Thor oder Ms. Marvel, verdeutlichen immer wieder, dass Marvel trotz aller oder vielleicht auch wegen all der konzeptionellen Neuausrichtungen, genau den richtigen Weg für sich gefunden zu haben scheint, den sie gehen sollten. Denn wenn dabei immer wieder Geschichten solch enormer Qualität und Schönheit herausspringen, kann daran nichts falsch sein. Pflichtkauf!
Titel: Vision Bd. 01 - Eine (fast) normale Familie
Verlag: Panini Comics
Format: Softcover / lim. Variant
Vö-Datum: 06.12.2016
Originalausgaben: US Vision (2015) #01-06
Seitenzahl: 140
Autor: Tom King
Zeichner: Gabriel Hernandez Walta
Preis: 16,99 € / 20,00 €(Picture Copyright: Panini Comics)
Passionierter Fanboy & Comic-Nerd. Ist seit vielen Jahren im Netz als Blogger unterwegs und fungiert als Betreiber und Autor von bizzaroworldcomics.de.
Zudem wirkt er als Autor für Fachmagazine wie Comic.de und stellt 1/3 Sprechblase bei POW! - Ein ComicPodcast. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern im Harz.