Comic Review: Drei Schatten (Reprodukt Verlag)
Wenn ich beginne ein Comic-Buch zu lesen und sich nach wenigen Seiten dieses Gefühl des Besonderen in mir breitmacht, fange ich an in meinem Kopf Soundtracks für das Werk zusammen zu stellen. Das klingt jetzt etwas platt, entspricht jedoch der Wahrheit. Als Ich Cyril Pedrosas Comic „Drei Schatten“ las, hörte ich Gustavo Santaolallas „De Ushuaia a la Quiaca“ in Dauerschleife (siehe unten). Auch während ich diese Zeilen schreibe, läuft das Stück im Hintergrund und lässt mich über die gelesenen 270 Seiten sinnieren.
Der kleine Joachim lebt mit seinen Eltern in einem Landhaus, abgeschottet vom Trubel der Welt. Das Leben ist ruhig, schön und familiär, wobei die Landwirtschaft und die Schönheit der Natur die kleine Familie stets beschäftigt hält. Ein Idyll.
Doch eines Tages tauchen drei Schatten am Horizont auf. Beobachtend, wartend, einfach nur präsent.
Joachims Eltern wissen mit den Gestalten nichts anzufangen, aber das Unbekannte lässt sie bedrohlich erscheinen. Mit der Zeit steigt die Angst in der jungen Familie, schließlich missglückte jeglicher Versuch zur Kontaktaufnahme.
Eine Wahrsagerin soll helfen, um die mittlerweile brennenden Fragen zu beantworten. Doch das Medium spendet mehr Angst, denn Trost. Die Schatten seien gekommen, um Joachim zu holen, ihn seiner Familie wegzunehmen und für immer zu entreißen.
Joachims Vater packt allen Mut zusammen und flieht mit seinem Sohn über das Meer, wo er sich Sicherheit für Joachim erhofft. Denn noch ahnt er nicht, dass er sich dem Unvermeidbaren stellen muss.
Der Franzose Pedrosa kann auf eine bereits recht ereignisreiche Karriere als Animator für die Pariser Walt Disney Animation Studios zurückblicken. Eine Erfahrung, die ihm bei der Arbeit an „Drei Schatten“ mehr als dienlich gewesen sein dürfte. So verwebt er leichtfüßig beinahe liebreizenden Pathos mit der bitteren, elterlichen Verlustangst gegenüber den eigenen Kindern und gestaltet diese Odyssee in anmutenden, ausdrucksstarken Illustrationen.
Irgendwo zwischen Märchen, Fantasy und bleischwerer Melancholie gleitet Pedrosas Erzählung wie eine Feder durch das Plot-Konstrukt und lädt vehement zur Selbstreflexion ein. Dabei navigiert er seine Erzählung, wie ein Kapitän sein ausrangiertes Schiff, auf das offene Meer hinaus, immer im Klaren über den Ausgang der Geschichte, denn die Schlinge um den Hals des Vaters zieht sich immer enger und die anfänglich glühende Hoffnung weicht dem Bewusstsein, um die nahende Ausweglosigkeit, die selbst die eigene Aufopferung nicht verhindern kann.
Cyril Pedrosas „Drei Schatten“ ist ein starkes aber auch bitteres Buch, das mit malerisch-ausdrucksstarken Zeichnungen und allseits bekannten Stilistiken sowie Genre-Figuren eine zunehmend an Beklemmung gewinnende Geschichte über das Leben erzählt, welche sonst gesellschaftlich zu gern tabuisiert wird. Ein ganz wunderbares Werk.
Titel: Drei Schatten
Verlag: Reprodukt Verlag
Format: Hardcover
Vö-Datum: April 2016 (2. Auflage)
Originalausgaben: Trois ombres
Seitenzahl: 272
Autor: Cyril Pedrosa
Zeichner: Cyril Pedrosa
Preis: 29,00 €(Cover Copyright: Reprodukt Verlag)
Mein Soundtrack zum Comic: Gustavo Santaolalla - „De Ushuaia a la Quiaca“
Passionierter Fanboy & Comic-Nerd. Ist seit vielen Jahren im Netz als Blogger unterwegs und fungiert als Betreiber und Autor von bizzaroworldcomics.de.
Zudem wirkt er als Autor für Fachmagazine wie Comic.de und stellt 1/3 Sprechblase bei POW! - Ein ComicPodcast. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern im Harz.