Comic Review: Black Hammer Bd. 01 - Vergessene Helden (Splitter Verlag)
Dieser Comic hat gewiss einen sehr langen Weg genommen, um endlich hier bei uns in den heimischen Comic-Shops zu landen. Im Jahr 2007 galt der heute mit Fug und Recht als Superstar zu bezeichnende Jeff Lemire noch als aufstrebender Autor seiner Zunft. Sein gefeiertes Debütwerk „Essex County“ stand gerade in den Startlöchern und wurde folglich vom „The League of Extraordinary Gentlemen“ Indie-Verlag Top Shelf unter die Leute gebracht. Bereits zu dieser Zeit soll Lemire seine Idee für „Black Hammer“ oder besser gesagt, für das, was später einmal „Black Hammer“ werden sollte im Kopf gehabt haben. Wie Lemire selbst im Nachwort des mir vorliegenden Bandes angibt, wurde seine Liebe für Superhelden durch seinen Erfolg als Autor und Zeichner für Indie-Comics nicht getrübt. Auch nicht, als er über Umwege über seinen Vertigo-Erfolg „Sweet Tooth“ dazu kam, in Form von „Animal Man“ oder auch „Green Arrow“ „richtige“ Superheldencomics für DC Comics zu schreiben.
Als er in Zeichner Dean Ormston endlich einen geeigneten Kollaborateur für seine Vision gefunden hatte, wandte er sich abermals an Dark Horse Comics, die das Projekt bereits Jahre zuvor gepitcht, aber aufgrund Lemires anderweitigen Projekte nicht weiter verfolgt hatten. Da der Name Lemires und seine Referenzliste in der Zwischenzeit jedoch haushoch herangewachsen waren, stellte man ihm Koryphäen wie Dave Stewart (Koloration) und auch Todd Klein (Lettering) zur Seite, um ihm alle notwendigen Mittel für ein bestmögliches Ergebnis zur Verfügung zu stellen. Wie man nun an der ersten Volume „Vergessene Helden“ bzw. „Secret Origins“ im englischen Original sehen kann, hat sich das vollends gelohnt.
Die Superheldengemeinschaft um Abraham Slam hat einiges durchgemacht. Einst kämpften sie Seite an Seite in der Metropole Spiral City und schlugen übergroße Monster und Verbrecher aller Couleur in die Flucht. Doch bei einer den gesamten Planten einnehmenden Schlacht gegen den gefährlichen Anti-God passierte etwas Unerklärliches: sie verschwanden spurlos. Auf einer kleinen Farm im Nirgendwo kamen sie zu sich, ohne zu wissen, wie sie dort hin gelangten. Doch es wird noch seltsamer, sie können die Grenzen der kleinen amerikanischen Ortschaft, deren Lage sie nicht einmal kennen, nicht verlassen und sind dort gefangen. Gefangen auf dem Land.
10 Jahre vergehen und die Gemeinschaft hat sich mehr oder weniger freiwillig mit dem unerklärlichen Schicksal arrangiert und versucht mehr oder weniger das Beste daraus zu machen - na ja, zumindest manche von ihnen. Während Abraham in seinem ruhigen Leben als Farmer aufgeht, mutiert die kleine Golden Gail zur zickigen Teenagergöre, der einstige marsianische Warlord Barbalien nähert sich dem kirchlichen Vertreter der heimischen Gemeinde an und die mechanische Talky-Walky versucht noch immer einen Weg nach Hause zu finden. Es stellt sich die Frage, was wird aus Helden, die keine Helden mehr sein können?
Jeff Lemire liebt Superheldencomics und entwarf „Black Hammer“ zu einer Zeit, als er es nie für möglich gehalten hätte, jemals selbst für die großen Verlage die von ihm so geliebten Figuren schreiben zu dürfen. Sein Konzept zieht er jedoch nicht als plumpe Kopie, sondern als respektvolle und nicht selten offene Hommage auf, indem er seine Versionen bekannter oder auch weniger bekannter Figuren des reichhaltigen Superheldenkosmos entwirft. Sein Abraham Slam ist ein alternder Abenteurer, mit offenkundiger Captain America Backstory. Golden Gail entspringt wie ihr Name dem Golden Age der Comics. Vom Zauberer Zafram bekommt sie die Fähigkeit sich beim Aussprechen seines Namens in eine kindliche Heldin zu verwandeln. Während sie im echten Leben altert, wird sie beim Sprechen des Namens wieder zur Heldin im Kindesalter mit gottgleichen Kräften. Sie stellt eine offene Anlehnung an Mary Marvel zu Fawcett-Zeiten dar, die, wie ihr Bruder, beim Sprechen des Namens Shazam zur Heldin wurde.
Colonel Weird ist Lemires Version von Julius Schwartz’ und Murphy Andersons für DC Comics entwickelten Weltraumhelden Adam Strange - nur mit deutlich psychotischerem Charakter. In Form des marsianischen Warlords Barbalien erhält das Team auch ihre eigene, formwandelnde Version des Martian Manhunters. Talky-Walky erinnert massiv an Fred M. Wilcox’ Space-Klassiker „Forbidden Planet“ und mit Madame Dragonfly hält auch die Horror-Anthologie „House of Secrets“ ihren Einzug ins Team. Passend dazu bringt sie ihr eigenes „Haus des Schreckens“ sowie einen Geliebten à la Swamp Thing mit.
Der namensgebende Black Hammer - der zu Beginn der Handlung leider bereits das Zeitliche segnete - erinnert an eine afroamerikanische Version des Donnergottes Thor. Wie Lemire im umfangreichen Bonusmaterial des Bandes angab, gab und gibt es mit The Horseless Rider bereits Konzepte für eine Adaption von Jerry Siegels und Bernard Bailys Schöpfung The Spectre und mit Time Boy eine Version von Jack Kirbys Orion.
Das von Lemire verfolgte Konzept der Abschottung des Helden von seiner heroischen Tätigkeit ist gewiss nicht neu. Bereits Alan Moore ließ den größten aller Superhelden in seiner Story „Whatever Happened to the Man of Tomorrow?“ zu einem normalen Mann werden, der sesshaft wird, Lois Lane heiratet und unter neuer Identität ein Leben abseits des Heroismus genießt. Es scheint beinahe so, als würden Ormston und Lemire das bekannte Superman-Konzept umdrehen und die Helden aus der Metropole zurück nach Smallville senden.
Der Autor macht es sich jedoch nicht ganz so einfach, eine bloße Kopie dessen zu erstellen, vielmehr entwirft er eine dekadenübergreifende Heldengeschichte, die ihren Ursprung in den 1940ern - dem offenkundigen Golden Age - nimmt, über das spacige Silver Age reicht, bis hin zum anschließenden Bronze Age, in dessem Ausklang die hier erzählte Geschichte angesiedelt sein dürfte. Golden Gail war ein Kind, als sie zur Heldin wurde. Im Hier und Jetzt ist sie eine Frau in den 50ern, gefangen im Körper eines mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestatteten Kindes, die sich mit Zigaretten und Alkohol nun der physischen Selbstzerstörung widmet.
Wie es sich für einen Fanboy gehört, achtet Lemire dabei penibel auf die Erzählweise, die er für die jeweiligen Szenen verwendet. So erhalten die Helden in den Flashbacks, die im Golden Age angesiedelt sind, die obligatorischen Gedankenblasen und mehr oder weniger trivial geschriebene Dialoge, die wir aus den Comics dieser geschichtsträchtigen Epoche kennen, während die Haupthandlung mit der Dialogstärke eines erstklassigen Indie-Comics daherkommt.
Nach dem eröffnenden Heft, welches für den Leser einen gewissen Status Quo und viele offene Fragen generiert, konzentrieren sich Ormston und Lemire mit jeder weiteren Ausgabe auf die Backstory der einzelnen Figuren, die sie parallel zur gegenwärtigen Handlung voran treiben. Der große Clou des Comics liegt in der Tragik, die jeder Figur beiwohnt und mit ihrer oft recht dramatischen Backstory geschildert wird, was „Black Hammer“ von einem generischen Superheldencomic deutlich abhebt. Gail, welche an dem Umstand im Kindskörper gefangen zu sein förmlich zerbricht, die mysteriöse Madame Dragonfly, welche seit Jahrhunderten mit dem Fluch ihres hexerischen Lebens gezeichnet ist und anfänglich lediglich ihr verstorbenes Kind retten wollte, oder der überaus zerstreute Colonel Weird, der durch seine Reisen in die Para-Zone dem Wahnsinn immer näher kommt: jeder Held in diesem Comic trägt seine eigenen inneren Dämonen mit sich herum.
Darüber hinaus erhält die Geschichte ihren spannenden Drall durch das Mysterium, wie die Heldengemeinschaft während ihres Kampfes mit dem übergroßen Anti-God - der Anti-Monitor lässt grüßen - überhaupt auf der Farm landen konnte und vor allem, wie sie wieder nach Haus kommen können. Dass Lemire gewillt ist, diesen Bogen über mehrere Volumes zu ziehen, ist spürbar und sicher auch gut so, da der gegenwärtige Status Quo genügend Potential für weitere Plots bietet, um zu zeigen, wie diese zu einer skurrilen Familie herangewachsene Gemeinschaft mit ihrem täglichen Drama fortfährt.
Dean Ormstons und Dave Stewarts Artwork ergießt sich dabei voller Wohlwollen über die tolle Geschichte und schafft es eine familiäre Tragödie Dank der vielen opulenten Falshbacks zu einem regelrechten Bombast heranwachsen zu lassen und den oft gewollt und auch notwendigen pulpigen Stil der Szenen wunderbar einzufangen. Dabei werden in einzelnen Panels nicht selten Verweise auf bekannte Settings diverser Superhelden Comics gezeigt, die von Millers „The Dark Knight Returns“ bis hin zu den Superman Comics des Golden Age reichen. Ein Potpourri der Reminiszenzen.
In der Summe schaffen es Jeff Lemire und Dean Ormston eine beeindruckende Mischung aus Indie-Drama, Mistery-Story und Superheldencomic zu erschaffen, welche eine exzellente Schnittstelle für Leser aller Genre ermöglicht. Dass wir hier nur am Beginn eines aufkeimenden Universums stehen, welches mit zahlreichen Spin-offs und Folgestorys ausgebaut werden soll, zeigt außerdem auf, dass die beiden Macher gewillt sind, dem Verlagskollegen Mike Mignola und seinem Hellboy-Universum durchaus Konkurrenz zu machen. Der giggelnde Nerd in mir hofft, ja erfleht regelrecht, dass dies auch geschafft wird und das enorme Niveau für die kommenden Ausgaben gehalten werden kann, weshalb es meinerseits 9 objektive Punkte für einen exzellenten Serienstart gibt, und einen ganzen Fanboy oben drauf, für die offenkundige Kriegserklärung Lemires an die haltlos-elitäre Einstellung, mit Supeheldencomics könne man keine herausragenden Geschichten erzählen. Chapeau! Monsieur Lemire.
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Passionierter Fanboy & Comic-Nerd. Ist seit vielen Jahren im Netz als Blogger unterwegs und fungiert als Betreiber und Autor von bizzaroworldcomics.de.
Zudem wirkt er als Autor für Fachmagazine wie Comic.de und stellt 1/3 Sprechblase bei POW! - Ein ComicPodcast. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern im Harz.
Persönlich hatte ich einen schweren Start mit dieser Serie, es gibt einfach viel besseres von Lemire, du hast ja ein paar Titel aufgezählt, daher wäre das Buch bei mir auch keine 10/10. Aber über den Umweg „Sherlock Frankenstein“, finde ich persönlich viel besser, hab ich den Zugang zu Black Hammer gefunden, es eine tolle Geschichte, keine Frage, das Konzept ist großartig, aber nach meinem Dafürhalten hat es leider ein paar längen, daher eher 08/10. Was das Buch aber einmal mehr zeigt, wie vielfältig Lemire ist, ist wohl auch der Grund warum ich fast alles von ihm kaufe.
Gruß Daniel
PS. Schöner Artikel zum Buch.
Mich hat es tatsächlich gänzlich aufgesogen. Dieser detailverliebte Charme von Golden Age bis hin zu 50s Horror Trash ging mir direkt ins Herz.
Und auch danke für’s Feedback ?
Weißt du eigentlich sie arm du mich machst? ???
Werde die Serie auf jeden Fall antesten! Danke dafür.
Das freut mich ?