Comic Review: Brodecks Bericht (Reprodukt)

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Comic Review: Brodecks Bericht (Reprodukt)

Comic Review: Brodecks Bericht (Reprodukt)

Einen Blog wie diesen zu führen, kostet Zeit und Nerven. Ständig up to date sein, hinter die Kulissen schauen und nichts aus den Augen verlieren. Das klappt im Normalfall recht gut, weshalb ich im Zuge meiner täglichen geistigen Umnachtung - zumindest nach meinem subjektiven Eindruck - einen halbwegs guten Blick über die heimische Verlagsvielfallt habe. Doch irgendwie ging die vielleicht wichtigste deutschsprachige Comic-Veröffentlichung des vergangenen Jahres vollkommen an mir vorbei, denn Manu Larcenets Comic-Adaption von Philippe Claudels „Brodecks Bericht“ erschien im Herbst bei Reprodukt und es dauerte geschlagene 5 Monate, bis der Band endlich in meinen Händen lag. Meiner bezaubernden Frau sei’s gedankt, denn ein Valentinstag unter Comic-Nerds soll ja auch passend gestaltet werden. Heißt es zumindest.

Lacernet zählt gewiss zu den Schwergewichten im Bereich der anspruchsvollen europäischen Comics, obwohl ihn viele Leser Dank seiner Arbeiten an der „Donjon“ Reihe sicherlich auch von der humoristischen Seite kennen dürften. Durch seinen Vierteiler „Blast“ (ebenfalls bei Reprodukt) erhob er sich jedoch mit Nachdruck aus dem Dunstkreis der Kollegenschaft und legte den Lesern ein Persönlichkeitsprofil der beängstigenden Art vor. In seinem neusten Werk adaptiert er nun das vor gut 10 Jahren erschienene Buch „Brodecks Bericht“ und gießt die schon als Roman sehr intensive Geschichte in eine knapp 300 Seiten starke Graphic Novel.

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Der Winter ist kalt und hart auf dem Land. Brodeck lebt mit seiner Familie weitestgehend zurückgezogen vom Treiben im Dorf und bekommt das dortigen Geschehen nur am Rande mit. Eines Abends macht er sich auf, um im Dorf Butter zu kaufen, da hat sich die Gemeinschaft geschlossen in der Schänke versammelt. Ein Mord ist geschehen und scheinbar war das gesamte Dorf daran beteiligt. „Der Andere“ musste sein Leben lassen, ein Fremder, der vor einiger Zeit ins Dorf gekommen war und nicht so wirklich dorthin passte. Brodeck, selbst vor vielen Jahren zugezogen und als schreibender Naturkundler bekannt, wird beauftragt einen Bericht, eine Chronik über die Vorgänge zu schreiben und mit seinen Worten eine, zumindest nach Ansicht der Dorfbewohner, nachvollziehbare Erklärung für ihre Tat zu liefern.
Brodeck willigt ein, denn die Angst das nächste Opfer zu sein, wiegt zu groß auf seinen Schultern. Doch er fertigt eine zweite, geheime Schrift an, die näher ins Detail geht und hinter die Fassade der Gemeinschaft blickt. Eine Schrift über seine Zeit im Krieg, interniert im Vernichtungslager, seiner Rückkehr nach Hause und die finsteren Abgründe, die ihn dort erwarten sollten.

Ähnlich wie bereits Claudel im Roman, spart auch Larcenet weitestgehend Informationen zur zeitlichen und lokalen Einordnung des Geschehens aus. Unter Anbetracht der thematischen Abhandlung der Deportation, der Besetzung durch eindringende Truppen, dem Vernichtungslager und der Kriegserzählung wird deutlich, dass die Geschichte in der unmittelbaren Nachkriegszeit, möglicherweise in einer grenznahen Gegend Frankreichs handeln könnte. Durch diese lose Einordnung manifestiert Larcenet das Grauen des Krieges im Allgemeinen, ohne der Geschichte durch die Benennung des „Zweiten Weltkrieges“ ein spezifischeres Profil zu verleihen.

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Das gelingt Larcenet wunderbar, da der Geschichte eine gewisse Allgemeingültigkeit zugeschrieben wird, die ihr unter Anbetracht einer stringenteren geschichtlichen Einordnung vielleicht abhanden gekommen wäre. Die Figuren werden eindringlich charakterisiert und mit einem durchweg bedrohlichen, teils aber auch melancholisch, ja fast in sich verlorenem Erzählton durch die bedrückende Geschichte manövriert. Dabei greift er auf Textpassagen des Romans zurück und ergänzt sie durch seine schweren Schwarz-Weiß-Zeichnungen und der dezidierten Tuschearbeit, die immer auf den Punkt genau trifft und unterschiedlichste Nuancen und Situationen zu händeln weiß. Erzählerisch nimmt er immer wieder die Vergangenheit auf und lässt Brodeck von seiner Zeit im Lager, der Folter und dem Massensterben berichten.
Die Nazis werden passenderweise als groteske, deformierte Monster dargestellt, die Opfer als sehr ähnlich aussehende breite, wehrlose Masse von Menschen, die dem Tod geweiht scheinen. Schaut man in die Gesichter der Dorfbewohner viele Jahre später sieht man Verbitterung und Gebrochenheit, eine immer wiederkehrende Anspielung auf den Verlust der Menschlichkeit, der Entsozialisierung, die der Krieg in allen Bereichen des Lebens mit sich bringt. Der Krieg bringt keine Gewinner hervor, nur Leid, Schmerz und Tod.

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Brodecks Bericht“ erweist sich trotz seiner anfänglich vermuteten Kargheit als ein Werk mit vielen Facetten und in der Summe als Comic, der sich nicht von heute auf morgen verarbeiten lässt. Es waren zu viele Emotionen und Szenen, die mich im Nachhinein noch zu beschäftigen wussten. Zu viele Dialoge, die mir noch Tage später den Magen umdrehten und mich immer wieder ins Regal greifen ließen, um die Stelle nachzuschlagen. Zeichnerisch konnte Manu Larcenet im Vergleich zu vorangegangenen Arbeiten noch eine Schippe drauf legen und in beinahe epochalen Holzschnitten eine bleischwere Geschichte erzählen, die von Panel zu Panel deutlicher machte, wie gut der Mann sein Handwerk beherrscht und dass Comics solcher Qualität leider viel, viel zu selten erscheinen. Diesen Comic zu verpassen, wäre ein Frevel der seinesgleichen sucht.

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Mephisto
Mephisto
2. März 2018 9:05

Hab ihn gleich nach deiner Besprechung im Laden mitgenommen und in einem Satz verschlungen. Mit das beste was ich bisher als Comic gelesen habe. vielen vielen vielen Dank für diese Tipp!!!!!!!! 🙂

Nicole
Nicole
27. Februar 2018 20:39

Gleich mal bestellt. Danke für den Tipp! ??

Mike
Mike
27. Februar 2018 17:42

Das sieht heftig aus. Hab die Ausgabe schon im Laden gesehen aber nicht nicht rangetraut, da ich sonst nur US-Comics lese. Aber da muss ich wohl mal 😀

Vincisblog
Vincisblog
27. Februar 2018 8:21

Wow! Der sieht echt gut und anders aus...mal schauen ob der auch bei mir auf dem Lesestapel landet...