Die aufmerksamen Leser meines Blogs wissen, dass ich mich zuletzt äußerst begeistert vom vierten und letzten Band der Steam Noir Saga zeigte, welchen Cross Cult vor einigen Wochen veröffentlichte. Welch sperriger einleitender Satz. Man möge mir verzeihen.
Wer meinen Senf dazu verpasst hat, darf/sollte/muss hier nachlesen: klick. Fertig? Gut. Denn jetzt brauche ich eure volle Aufmerksamkeit! Die beiden kreativen Köpfe hinter dieser großartigen Comicreihe, Verena Klinke und Felix Mertikat, standen mir Rede und Antwort zum Release des besagten Bandes. Und dieses Gespräch könnt ihr im nun folgenden Interview nachlesen. Viel Spaß!
Verena (Copyright: Verena Klinke)
Emu: Hallo ihr zwei! Erstmal meine größten Glückwünsche zur Veröffentlichung des großen Finales. Wie fühlt ihr euch, ich gehe davon aus, für euch sind die Zeiten grad etwas hektisch!?!
Felix: Danke! Es ist ein wunderbares und wirklich beglückendes Gefühl zu wissen, dass man fertig ist! Hektisch trifft es ganz gut, denn eine Pause gibt’s jetzt erst einmal nicht.
Verena: Stimmt, jetzt stehen erst einmal viele Promotermine für Steam Noir an. Aber auch was unsere neuen Projekte angeht, sind wir schon mittendrin beim Werkeln. Deswegen vermischt sich die Erschöpfung der letzten Monate gerade mit einer Art Aufbruchstimmung, weil wir schon wieder ganz neue Dinge angehen und aufbauen.
Emu: Seid ihr zufrieden mit der Resonanz? Wie ihr wisst, war ich selbst sehr begeistert von der Entwicklung der Geschichte und ich gehe davon aus, so ging es auch vielen anderen Lesern. Wie habt ihr die ersten Eindrücke wahrgenommen?
Verena: Genau wie du haben uns viele Leute gratuliert und tolle Dinge über den Abschlussband sowie über die Serie an sich gesagt. Das ist eine tolle Belohnung für die ganze Arbeit! Aber außerhalb der öffentlichen Termine beschäftige ich mich gerade kaum mit dem „Nachhall“ von Steam Noir – es tut gut, jetzt an andere Dinge zu gehen und sich nicht auf dem Erreichten auszuruhen.
Felix: Ich freue mich sehr über das Feedback, mein Vater hat eine halbe Stunde mit mir am Telefon nur über den Band gesprochen, und auch andere Leser lassen uns daran teilhaben, wie sie den Band fanden. Ich für mich, bin sehr froh, dass die Resonanz so positiv ist. Für uns war es eine Schwierigkeit, die aufgebauten Erwartungen zu erfüllen.
Emu: Haben die Erwartungshaltungen aus eurem näheren Umfeld euch in irgendeiner Weise beeinflusst? Ich kann mir vorstellen, dass gerade Familienmitglieder oder Freunde ganz anders mit einem Werk umgehen, als Fans oder Leser dies tun.
Verena: Wir beziehen Freunde und Familie sogar häufig in unseren Arbeitsprozess ein, indem wir sie beispielsweise als Testleser gewinnen. Wir zeigen ihnen „work in progress“ und fordern sie auf, jede Schwachstelle zu finden - natürlich werden wir da immer mit sehr detaillierter Kritik und großen Erwartungen konfrontiert. Wir suchen das ganz bewusst, weil wir daran merken, was wir noch leisten müssen und können. Die Kunst ist, zu wissen, wann man Kritik auch mal in den Wind schlagen darf.Felix: Natürlich! Mein Vater ist ein riesiger Steam Noir Fan ABER wollte nie darüber reden und nichts vorab wissen. Er wollte das Buch unbeeinflusst lesen. Dafür haben wir danach dann immer lange darüber gesprochen. Ansonsten haben die Erwartungen unserer Freunde das Buch jedoch kaum Einfluss, weil wir das Script bereits zwei Jahre zuvor erarbeitet hatten und zum vierten Band eben die konkreten Szenen und die Ausarbeitung dazu kam, aber inhaltlich hatte sich nichts mehr geändert.
Emu: Ich muss einfach fragen: Ist das jetzt wirklich das Ende? Verena, in der Autorenvorstellung des neuen Bandes hast du ja zu dem Thema zumindest Andeutungen gemacht. Könnt ihr euch vorstellen nach Landsberg zurückzukehren und die Geschichte weiterzuerzählen?
Verena: Auf jeden Fall! Aber eine Fortsetzung nur um der Fortsetzung willen ist absolut nicht in unserem Sinne. Deswegen arbeiten wir an neuen Ideen, die uns beide hundertprozentig überzeugen. Aber gut Ding will Weile haben.
Emu: Wie lange habt ihr insgesamt am 4. Band gearbeitet? Lässt sich das überhaupt spezifisch sagen?
Verena: Rund 6 Monate vom Skriptschreiben über das Zeichnen und Kolorieren bis zum finalen Schliff. Also in etwa genau so lange wie für jeden anderen Band auch. Da der vierte Band deutlich dicker ist als die anderen, heißt das, dass wir viel schneller geworden sind. Inzwischen haben wir ein bisschen Übung.
Emu: Ist der Umfang des vierten Bandes dem Entstehungsprozess geschuldet oder war das von Anfang an so geplant, quasi als im Vergleich zu den Vorgängerbänden deutlich komplexer angelegtes Finale?
Felix: Beides. Der vierte Band war länger geplant, allerdings im Gesamtumfang nicht von vorneherein auf 112 Seiten angelegt. Als wir dann daran gearbeitet hatten, spürten wir, dass der Band mehr Seiten (Raum) zum Atmen und Wirken brauchte. Und den wollten wir ihm nicht vornenthalten.
Emu: Wie kann sich der Leser euren Arbeitsalltag vorstellen? Ich habe gelesen, dass ihr nebenbei auch an anderen Projekten gearbeitet habt. Ist es für Comickünstler in Deutschland finanziell überhaupt möglich sich konstant auf ein Projekt zu konzentrieren oder wäre das existentieller Selbstmord?
Felix: Sicher arbeite ich immer auch an anderen Projekten. Einerseits finanziell nicht anders zu machen, aber auch kreativ ist es für mich wichtig, nicht eingleisig zu fahren. Die Zeichnungen blieben sonst nicht lebendig. Teilweise sitze ich 10-14 Stunden pro Tag in der Hochphase eines Comics. Das machte bei Steam Noir #4 mit 96 Seiten also gut 3-4 Monate reine Zeichenzeit.
Verena: Schön wäre es, wenn es aus finanzieller Sicht nicht notwendig wäre, mehrere Projekte und Aufträge gleichzeitig zu machen. Kreativ gesehen ist es aber tatsächlich ganz gut, auch mal nach rechts und links schauen zu müssen, um keinen Tunnelblick zu bekommen. Das kann bei einer Projektlaufzeit von einem halben Jahr schon mal passieren.
Felix (Copyright: Katja Pfister)
Emu: Arbeitet ihr immer zusammen am Konzept der Handlung oder sind die Aufgaben stringent geteilt?
Verena: Wir arbeiten phasenweise sehr eng zusammen – Felix macht Vorschläge für meine Szenen, ich kommentiere sein Storyboard. Am Ende hat natürlich jeder das letzte Wort in seinem Department, aber die Teamarbeit hilft uns dabei, das Steam Noir-Universum lebendig auszugestalten; jedem fallen andere Aspekte ein, die zusammen die richtige Mischung ergeben.
Emu: Als Einfluss habt ihr in den Credits die Band Welle: Erdball angegeben. Gibt es noch andere Medien die euch beeinflussen, denen ihr Inspirationen verdankt?
Felix: Filme. Wir beide sind dem Film sehr zugewandt und das spürt man auch in unseren Comics. Die Nähe zum Film sieht man in den Einstellungen der Bilder, die Art zu erzählen und auch die Dialogführung. Ich sehe Steam Noir als Film in Standbildern.
Emu: Da ich selbst ein großer Filmfan bis, muss ich an dieser Stelle natürlich fragen: was sind eure Lieblingsfilme und welche Filme könntet ihr als Inspirationsreferenz für Steam Noir nennen?
Verena: DEN EINEN Lieblingsfilm gibt es bei mir nicht, aber es gibt Filme, die mich auch beim hundertsten Mal Sehen immer noch begeistern. Harold und Maude gehört definitiv dazu. Und Fight Clubist einfach nach wie vor saucool!Felix: Mich hat Die Stadt der verlorenen Kinder und Delicatessen, aber auch Jurassic Park und Das fünfte Element in meinen zarten Jugendjahren stark geprägt und dann wohl auch beeinflusst. Allen Geschichten ist eine Bildgewalt gemein, etwas Eigenständiges und Besonderes, gerade die Jeunet-Filme strotzen vor visionärer Kraft und Eleganz. Während Besson einfach Schnitte, Musik, Action und Humor immer herausragend zusammenbringt. Ich denke das alles kann man in Steam Noir, zumindet von meiner Seite her, nachspüren und den Widerhall davon entdecken.
Emu: Das sind eine Menge Elemente die da zusammentreffen. Wie können sich die Leser vorstellen, ist diese komplexe Welt entstanden? Stand das Ideenfundament bereits vor dem ersten Panel oder wuchs alles mit der Geschichte?
Verena: Zu Beginn standen natürlich die Pfeiler der Geschichte fest, also grundlegende Dinge wie Vineta, der Äther, die Bizarromantie. Aber viele Details, z.B. zum Kalendarium und dem KO, haben wir erst im Laufe der Zeit entwickelt, wenn die Geschichte sie benötigt hat. Durch dieses schrittweise Vorgehen haben wir den Überblick behalten.
Emu: In Zusammenarbeit mit Editions Paquet bringt ihr nun Steam Noir nach Frankreich. Auch hier meine Glückwünsche! Wie kam es zu der Kollaboration? Habt ihr auch vor das Comic in noch weitere Sprachen übersetzen zu lassen?
Felix: Das ist im engeren Sinne keine Kollaboration, sondern ein Lizenzverkauf, bei dem Paquet die Lizenz für den französisch sprechenden Markt gekauft hat. Das macht uns sehr stolz zu sehen, dass Steam Noir, obwohl es so urtypisch ist, auch im Ausland angenommen wird. Spannend ist dabei, dass auch die Namen der Figuren nicht abgeändert wurden. Das bedeutet, dass kein Franzose Heinrichs Namen wohl jemals richtig aussprechen kann. 🙂
Emu: Was ich bemerkenswert finde, ihr trag quasi „den deutschen Comic“ nach Frankreich, einem der weltweit höchst angesehensten Comicmärkte überhaupt. Mein tiefsten Respekt. Wie schaut die Zukunft aus, was sind eure nächsten Projekte?
Verena: Natürlich wollen wir weiter Comics machen, gerne auch zusammen. Unser neues gemeinsames Projekt heißt ALIEN CANTEEN und erzählt die Geschichte von fünf Aliens, die auf einem Raumflughafen gestrandet sind und alles unternehmen, um von dort wegzukommen. Das Ganze wollen wir episodenhaft erzählen – und humorvoll!
Felix: Ich mache gerade als Kontrast dazu Spiele. Mein erstes Spiel Schäferstündchen ist seit März auf dem Markt und derzeit entsteht mein neues Spiel Tsukuyumi- Full Moon Down, übrigens auch mit einem größeren Comicanteil. Auch hier habe ich Verena als Autorin gewinnen können, die die Backstory der Welt erzählt. Andere Autoren schreiben dann die Hintergrundgeschichten der übrigen Fraktionen der Überlebenden. Darauf bin ich schon sehr gespannt. Das ganze veröffentliche ich unter dem Spielelabel King Racoon Games.
Emu: Gibt es für beide Projekte vielleicht einen Erscheinungszeitraum, den Fans im Auge behalten sollten?
Felix: Bisher keine die wir mit Sicherheit bestätigen könnten. Wir wollen den Projekten Zeit geben zu reifen.
Emu: Habt ihr noch die Zeit selbst Comics zu lesen? Wenn ja, was hat euch zuletzt beeindruckt? Welche Comics lest ihr gern?
Felix: Tatsächlich nur bedingt. Ich versuche mir eine breitere Bildung anzulesen und gleichzeitig auch aktuelle Sachen zu lesen. Tatsächlich kaufe ich mehr, als das ich zum Lesen komme.
Verena: Ich lese inzwischen mehr Comics als Romane, weil ich den Großteil des Tages mit Text verbringe und abends zumindest ein bisschen Abwechslung brauche. Ich bin ein Fan von Aike ArndtsDie Zeit und Gott, absolut empfehlenswert!
Emu: Das war’s dann auch schon und ich möchte mich noch einmal ganz herzlich bedanken, dass ihr euch die Zeit genommen mir und meinen Lesern ein paar Fragen zu beantworten. Das letzte Wort gehört natürlich euch! 🙂
Verena: Ein großes Dankeschön an alle Leser, die uns in den letzten Jahren begleitet haben!
Felix: Danke Emu, für dein Interesse und an alle Leser, die es bis hierher geschafft haben. Kunst zu erschaffen findet immer im Austausch und Dialog mit den Betrachtern, Lesern und Kritikern statt. Ein Künstler könnte niemals zweimal das Gleiche machen, weil er dann bereits weiß, was die Leute davon halten. So erschaffen die Eindrücke, Aussagen, das Interesse und das Desinteresse der Betrachter zusammen mit dem Künstler jedes weitere Werk. Und uns tut das Interesse an uns und unserer Arbeit so gut, dass wir uns stets freuen, wieder zum Stift zu greifen. Danke an alle, die uns diese Kraft und Energie mit auf den Weg geben und gegaben haben.
Passionierter Fanboy & Comic-Nerd. Ist seit vielen Jahren im Netz als Blogger unterwegs und fungiert als Betreiber und Autor von bizzaroworldcomics.de.
Zudem wirkt er als Autor für Fachmagazine wie Comic.de und stellt 1/3 Sprechblase bei POW! - Ein ComicPodcast. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern im Harz.