Das ist die Geschichte eines Priesters, der seine Lebensmittelmarken opfert um einen Araber zu retten... eines Arabers, der einen Juden rettet, indem er ihm Hoffnung spendet... eines Juden, der den sterbenden Araber im Arm hält. Die Geschichte der Menschen mit ihren kleinen unerwarteten Wundern. (Raymond Levy - Januar 1944, Gefängnis Saint Michel)
Der französische Schriftsteller Marc Levy war bis zum Jahr 2007 für eher gediegenere Literatur bekannt. Bis zu seinem siebten Roman Les enfants de la liberté- zu deutsch: Kinder der Hoffnung.
Levy beschreibt hier das Wirken seines Vaters Raymond und seines Onkels Claude in der französischen Résistance, ab 1943. Das Buch wurde nun von Levy selbst, dem Zeichner Alain Grand sowie Kolorist Dominique Osuch als Comic neu adaptiert.
Es geht um die wahre Geschichte von Raymond und Claude Levy, die im Toulouse der 1940er Jahre gerade dabei sind erwachsen zu werden. Fast erdrückt von der deutschen Besatzung schließen sie sich einer Untergruppe des französischen Widerstandes an, genannt Die 35. Brigade. Sie wollen kämpfen, aktiv werden... Nazis töten. Die 35. Brigade besteht vornehmlich aus italienischen, polnischen oder spanischen Immigranten und Juden. Sie wollen den brutalen Faschisten, egal ob deutsche Besatzer oder französische Hilfesteller, nicht mit Ohnmacht begegnen, sondern für die Freiheit ihres Landes kämpfen. Unerträglich sei Kollaboration des Vichy-Regimes, weshalb die Brigade nicht nur Sabotage an wichtigen infrastrukturellen Knotenpunkten vornimmt, sondern auch vor Morden nicht zurückschreckt. Patrouillierende Soldaten werden erschossen, Granaten in Restaurants geworfen und Schlüsselpersonen ausgeschalten. Ein unerbitterlicher Kampf im Untergrund entbrennt, auf den die französische Justiz mit aller Härte reagiert. Als der Krieg sich dem Ende nähert und die Maßnahmen der Faschisten immer menschenverachtender werden, steht das Ziel fest: die Deportation nach Deutschland. Der Weg nach Dachau.
Was den Lesegenuss für mich deutlich von anderen historischen Comics abhob, war die immerwährende deutliche Präsenz der reellen Hintergründe. So gab es keine cineastischen Handlungsbögen, die den Plot ausschmückten, sondern die einfache und unverblümte Geschichte eines Vaters, die er an seinen Sohn weitergab. Die Geschichte wie ein idealistsicher Junge unter brutalen Umständen zum Mann wurde, zum Überlebenden.
Dabei werden auch französische Kollaborateure aus Justiz und Polizei namentlich beschrieben, welche Bevorteilungen sie nach dem Krieg noch immer genossen und auch welche Posten und Ämter sie einnahmen. Wie ausländische Résistance-Kämpfer in der französischen Geschichtsschreibung einfach ignoriert wurden, weil die Befreiung Frankreis auch eine französische Befreiung sein sollte. Dunkle Flecken auf vielen weißen Westen, die kenntlich gemacht werden.
Optisch gesehen ist das trockene Ligne claire Artwork von Alain Grand eine ideale Widergabegrundlage der Geschichte. Der Stil der 1940er Jahre wird sehr schön eingefangen, ob nun Kleidung oder Fahrzeuge, die Zeitreise funktioniert bereits ab der ersten Seite. Die stellenweise etwas blasse Sepia-Koloration von Dominique Osuch birgt dennoch genügend Wärme in sich, um den erwarteten Ton genau zu treffen.
Kinder der Hoffnung ist keine wertende Geschichte, sondern ein Zeitdokument über eine Vergangenheit, die die Vorstellungskraft unserer bzw. meiner Generation wahrscheinlich immer wieder überschreiten wird.
Der von Menschen verursachte Wahnsinn, der in einem Europa des 21. Jahrhunderts hoffentlich nie wieder Gestalt annimmt, sollte auf ewig als Mahnmal für menschliche Werte fungieren. Bücher wie dieses tragen dazu bei, weshalb Marc Levy’s Kinder der Hoffnung nicht nur äußerst lesenswerte Lektüre ist, sondern auch eine sehr bedeutende.
Verlag: Panini Comics Format: Hardcover Vö-Datum: 04.06.2015 Originalausgaben: Les enfants de la liberté Seitenzahl: 180 Sprache: Deutsch Autor: Marc Levy Zeichner: Alain Grand und Dominique Osuch Preis: 19,99 €
Passionierter Fanboy & Comic-Nerd. Ist seit vielen Jahren im Netz als Blogger unterwegs und fungiert als Betreiber und Autor von bizzaroworldcomics.de.
Zudem wirkt er als Autor für Fachmagazine wie Comic.de und stellt 1/3 Sprechblase bei POW! - Ein ComicPodcast. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern im Harz.
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Anonym
20. August 2015 15:41
Letzte Woche erst gelesen. Ein großartiger Comic. 🙂
Letzte Woche erst gelesen. Ein großartiger Comic. 🙂